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National(sozial)ismus in der Deutschen Kulturgemeinde La Paz
von Anne Vargas und Renata Salas

Wie stark waren nationalsozialistische Tendenzen in der deutschen Gemeinschaft in Bolivien vertreten? Diese Frage stellten wir im Rahmen des „Erinnern-Projektes“ Herrn Bernd Stahmer.

Dass die Deutsche Kulturgemeinde und auch die Deutsche Schule ideologisch geprägt waren, zeigen die Bilder aus dieser Zeit, die wir auf dieser Homepage in Auszügen zeigen. Und auch ein privater Brief des ehemaligen Vorsitzenden der deutschen Kulturgemeinde zeigt, dass die deutschstämmigen Bolivianer zumindest deutschnational eingestellt waren und sie es bedauerten, dass die beiden Weltkriege dem deutschen Ansehen und dem „Deutschtum“ solch einen Schaden zugefügt hatten.

Bernd Stahmer lebt seit Anfang der 60er Jahre in Bolivien und war Schwager von Monika Ertl. Deren Vater – und Herr Stahmers Schwiegervater – war Hans Ertl, Kameramann von Leni Riefenstahl, der nach Bolivien kam, weil ihm die Arbeit im Nachkriegsdeutschland aufgrund seiner Mitwirkung bei NS-Propagandafilmen erschwert worden war (https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Ertl_(Bergsteiger)). Seine Tochter hingegen, Monika Ertl, gehörte zur Linksradikalen Gruppe Ejército de Liberación Nacional um Che Guevara und stand im Verdacht, den bolivianischen Konsul, der an der Ermordung von Che Guevara beteiligt gewesen war, in Hamburg getötet zu haben (https://de.wikipedia.org/wiki/Monika_Ertl oder https://www.spiegel.de/geschichte/leben-und-sterben-der-monika-ertl-a-948245.html). Ob es einen Zusammenhang zwischen der Vergangenheit von Hans Ertl und der Radikalisierung seiner Tochter gab, vermochte Herr Stahmer nicht zu sagen, da im privaten Bereich wenig über Politik gesprochen wurde.

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hier das Video mit Herrn Bernd Stahmer in voller Länge (56 Min,; dt.)

Während des Interviews erzählte Herr Stahmer von seinen Erfahrungen und seinen Eindrücken von der Anpassung der deutschen Gemeinschaft in Bolivien an die sich verändernden Zeiten.

Geboren in Hamburg, kam Herr Stahmer nach Bolivien, angezogen von den dortigen unternehmerischen Möglichkeiten. Im Gegensatz zu den meisten Juden, die flüchten mussten und nur aus dem Wunsch nach Sicherheit einwanderten, suchten die Deutschen, die nach 1945 nach Bolivien kamen, nach neuen Chancen, neuen Anfängen und neuen Möglichkeiten. Infolgedessen haben bekanntlich viele deutsche Familien große Unternehmen im Land gegründet.

Für ihn war die Anpassungsphase einfach, da die deutsche Gemeinschaft in Bolivien bereits gut etabliert war und deutsche Neuankömmlinge schnell und gut integriert wurden.

Ein ganz anderes, negatives Beispiel für die gute Aufnahme von Deutschen in Bolivien ist der schon genannte, berühmt-berüchtigte Klaus Barbie alias Altmann, dem es gelang, sein verbrecherisches Leben in diesem Land ungehindert fortzusetzen: Als Regierungsberater konnte er seine Erfahrungen weitergeben, darunter auch bei der Suche und Ermordung von Che Guevara. Später wurde er wegen seiner Kriegsverbrechen als SS Offizier in Lyon, die ihm den Beinamen „Schlächter von Lyon“ einbrachten, 1983 nach Frankreich ausgeliefert, wo er seine letzten Tage im Gefängnis verbrachte. Inwieweit die Deutsche Gemeinde zu Beginn über die Vergangenheit von Klaus Barbie informiert war, lässt sich nicht mit absoluter Sicherheit sagen. Es ist allerdings davon auszugehen, dass die meisten jedoch ziemlich schnell über die wahre Identität von Klaus Barbie Bescheid wussten und ihn deckten. Erst als er nach einem längeren Abend im Club Alemán anfing, NS-Lieder zu singen, distanzierte man sich von ihm und schloss ihn aus der Deutschen Kulturgemeinde aus.

Die Integration unterschied sich natürlich je nach Person, Zeit und Gruppe. Wie schon oben erwähnt, hatten die Juden kein Interesse an einer Integration in die „Reichsdeutsche Gemeinschaft“, wie sich die Deutsche Kulturgemeinde während der Zeit des Nationalsozialismus nannte, und ihre Kinder wollten sie auch nicht auf die nationalsozialistisch geprägte Schule schicken, so dass sich die jüdisch-deutsche Gemeinde bis in die 80er Jahre unabhängig von der alteingesessenen deutschen Gemeinde entwickelte und sich parallel auch der „Deutsche Demokratische Klub – Das andere Deutschland“ gründete, der noch bis in die 50er Jahre im Konflikt zum CCA stand (Centro Cultural Alemán), der Deutschen Kulturgemeinschaft, wie ein Briefwechsel anlässlich der Ernennung des neuen deutschen Botschafters zeigt. Man kann also sagen, dass es bis in die 60er und 70er Jahre drei konkurrierende „deutsche Gruppen“ gab.

In La Paz führte das dazu, dass neben der Deutschen Schule auch eine israelitische Schule gegründet wurde, hauptsächlich von den deutsch-jüdischen Migranten. Herr Stahmer kommentierte, dass es aus seiner Sicht keinen Wettbewerb zwischen den beiden Bildungseinheiten gegeben habe und dass die Deutsche Schule, jedenfalls seit Kriegsende, eine politische neutrale Position vertreten habe. Guillermo Wiener, ein österreichischer Jude und Schüler der israelitischen Schule, stellt in seiner Biographie „Recuerdos de un Judio boliviano“ allerdings heraus, wie wichtig es ihm war, beim Mathematikwettbewerb der Schulen in La Paz gegen das „Colegio Alemán“ gewonnen zu haben.

Die Abgrenzung der Jüdischen Gemeinde gegen die deutsche erklärt Herr Stahmer mit den vergangenen Kriegsereignissen, die in der Weltgeschichte Spuren hinterlassen hätten, die aber nach und nach nachgelassen hätten, so dass in späterer Zeit auch Juden Mitglieder im CCA wurden, wie zum Beispiel einer der ehemaligen Kassenwarte, und sie ihre Kinder wieder auf die Deutsche Schule schickten.

Es war die deutsche Gemeinde, die Bernd Stahmer mit offenen Armen empfing und in der er die Gelegenheit hatte, seine zukünftige (ebenfalls deutschstämmige) Frau Beatrix Ertl kennenzulernen. Jahre später konnte er Hans Ertl, seinen Schwiegervater, in der Chiquitania treffen. Herr Stahmer beschreibt Herrn Ertl als einen Amateur-Bergsteiger. Er unternahm mehrere Expeditionen in die Anden, wie die auf den Illimani nahe La Paz, oder auch in den Amazonas. Darüber hinaus machte er gerne Filme, eine Leidenschaft, mit der er in seiner Jugend für die bekannte nationalsozialistische Propagandistin Leni Riefenstahl arbeitete. Laut Herr Stahmer war Hans Ertl eher unpolitisch. Er habe für die NS Propaganda gearbeitet, weil er das Filmen geliebt habe, nicht die Ideologie oder die Propaganda.

Abschließend äußerte Herr Stahmer seine Meinung über die zu jeder Zeit guten Beziehungen zwischen Bolivien und Deutschland und betonte deren gegenseitige Unterstützung und den großen Wert, den die Deutsche Schule für die Deutsche Gemeinde, aber auch für Bolivien insgesamt hatte und noch heute hat.